QUEST-LFS Die Forschungsschule News & Veranstaltungen
Wie hoch liegt ein Ort? Die Verbindung zweier Uhren sagt’s mir

Wie hoch liegt ein Ort? Die Verbindung zweier Uhren sagt’s mir

Sie ähnelt einem ausgebeulten Fußball: Das ist die Erde, wenn man sie als Geoid darstellt, also die tastsächliche Schwerkraftverteilung zeigt. Die Höhe der „Beulen“, die mit dem Schwerefeld der Erde zu tun haben, sind hier vom Satelliten Goce ermittelt worden. Abb.: ESA

Forscher aus Garching und Braunschweig transportieren Frequenzen hochgenau über fast 2000 km – wichtig u. a. für die Geodäsie

Wie hoch liegt ein Ort über „Normalnull“? Und wo genau liegt überhaupt „Normalnull“? Ein Ziel der Geodäten ist es, das auf einen Zentimeter genau zu ermitteln, wobei herkömmliche Vermessungs-verfahren oder GPS-Technik über Satelliten an ihre Grenzen stoßen. Hier bieten optische Atomuhren einen neuen Ansatz, denn der Gang einer Uhr wird durch das Gravitationsfeld des jeweiligen Ortes beeinflusst. Dieser bekannte, aber winzige Effekt wurde in den letzten Jahren mit zwei optischen Uhren innerhalb weniger Minuten Messzeit immer empfindlicher nachgewiesen. Diese Uhren standen jedoch in demselben Institut. Jetzt dürfen auch rund 2000 km zwischen ihnen liegen. In kommerziellen Glasfasern und mithilfe ausgeklügelter Verstärkertechnik wird die Frequenz der einen Atomuhr bis zur anderen transportiert und dort verglichen. Durch ein hochempfindliches Interferometrieverfahren gelingt dies auf 19 Stellen hinter dem Komma genau. Die Ergebnisse der erfolgreichen Kooperation zwischen dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht. Sie bilden auch eine wichtige Basis für einen jetzt beantragten Sonderforschungsbereich der PTB und der Universität Hannover mit der Universität Bremen.

Beim Brückenbau kann so einiges schiefgehen. Die Bewohner des deutschen und des schweizerischen Teiles von Laufenberg freuten sich schon auf die neue Hochrheinbrücke, als man stutzig wurde: Die aufeinander zuwachsenden Brückenteile unterschieden sich in der Höhe um ganze 54 Zentimeter. Ein peinlicher Fehler: Da hatte jemand den bekannten Höhenunterschied von 27 Zentimetern in den Höhennetzen der Schweiz und Deutschlands falsch in die Rechnung eingebaut, sie somit verdoppelt und nicht getilgt. Diese Höhendifferenz existierte, weil die Deutschen sich bei solchen Berechnungen auf die Meereshöhe der Nordsee beziehen, die Schweizer dagegen auf die Meereshöhe des Mittelmeeres. Normalnull ist also nicht gleich Normalnull. Um solche Fehler in Zukunft auszuschließen, würden die Geodäten gerne das Normalnull neu berechnen, und zwar auf der Grundlage der Schwerkraft der Erde. Ihr Ziel ist es, das sogenannte Geoid der Erde, also die tatsächliche Schwerkraftverteilung, auf wenige Zentimeter genau zu ermitteln. Da kommen die optischen Atomuhren, die seit einigen Jahren von Physikern entwickelt werden, genau richtig. Denn sie können erstmals eine Frequenz so genau realisieren, dass selbst die kleinen Frequenzabweichungen, die von einigen Zentimetern Höhenunterschied verursacht werden, auffallen. Dahinter steckt Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, die sogenannte Gravitations-Rotverschiebung: Wenn eine Uhr weiter von der Erde entfernt ist, sich also in einem schwächeren Schwerefeld befindet, läuft für sie die Zeit tatsächlich etwas schneller ab. Für einen Höhenunterschied von einem Meter ändert sich der Gang (also die Frequenz) einer Uhr um 1 × 10–16.

Einiges ist auf diesem Gebiet schon geforscht worden: Da hat man beispielsweise Atomuhren im Flugzeug über die halbe Erde geflogen – und hinterher tatsächlich festgestellt, dass ihre Zeit geringfügig anders abgelaufen war als die einer Atomuhr auf der Erde. Und vor drei Jahren stellten Chou et al. (Science 2010) zwei optische Aluminium-Uhren in benachbarten Laboren mit 33 cm Höhenunterschied auf – und konnten tatsächlich den Einfluss dieser kleinen Höhendifferenz auf die Frequenzen der beiden Uhren messen. „Aber wie messe ich die Höhendifferenz, also diesen Frequenzunterschied, wenn die beiden Uhren nicht nebeneinander stehen? Sprich: Wie stelle ich die Verbindung her zu einer zweiten Uhr, die dort steht, wo eine Höhe so genau gemessen werden muss?“ fragt Gesine Grosche, Physikerin bei der PTB. Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, haben sie und ihre Kollegen vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching in den letzten Jahren erforscht, wie man derartige „Präzisionsfrequenzen“, wie sie von einer optischen Atomuhr erzeugt werden können, auf die Reise schicken kann. Nachdem sie im letzten Jahr im Science-Magazin berichten konnten, dass ihnen ein Frequenzvergleich über die 920 km lange Strecke zwischen dem MPQ und der PTB gelungen war, haben sie jetzt diese Strecke verdoppelt – und sogar noch bessere Stabilitäten erzeugt. „Wir können also sehr schnell auf die benötigten genauen Werte kommen, ohne lange messen zu müssen“, erläutert Stefan Droste vom MPQ. „Die Gesamtmessunsicherheit liegt bei nur 4 × 10–19, das entspräche 4 mm Höhenunterschied, und wir erreichen diese Auflösung nach nur 100 Sekunden.“ Solche Werte machen die neue Technik für die praktische Anwendung höchst interessant. „Prinzipiell können jetzt optische Uhren in weit entfernten Forschungsinstituten quasi ‘zusammengeschaltet‘ und für alle Zwecke genutzt werden, für die man so ‚gute‘ Frequenzen braucht“, erläutert Ronald Holzwarth vom MPQ.

Eine erste Anwendung für die Grundlagenforschung ist auch gerade dokumentiert worden, nämlich im Juni in Physical Review Letters: MPQ-, PTB- und französische Forscher haben diesen Weg genutzt, um spektroskopische Untersuchungen an Wasserstoff durchzuführen, die für die grundlegende Frage wichtig sind, ob die Quantenmechanik die Welt tatsächlich gut beschreibt.

Und jetzt stehen also die Geodäten quasi vor der Tür. „Wir arbeiten gemeinsam an dem Antrag für einen Sonderforschungsbereich zusammen mit den Universitäten Hannover und Bremen“, sagt Gesine Grosche. Außerdem könnte diese Forschung auch für radioastronomische Untersuchungen eingesetzt werden. Die Kollegen in Australien wollen dafür Frequenzen nicht über 2000 km, sondern etwa 4000 km vergleichen, was die Sache natürlich noch komplizierter macht. Aber Gesine Grosche ist optimistisch: „Nachdem wir jetzt die Grundlagen dafür gelegt haben, wird das wohl auch zu schaffen sein!“

Und auch die langjährige gute Zusammenarbeit zwischen PTB und MPQ auf diesem Gebiet wird natürlich weitergehen. Vielleicht wird einmal der Höhenunterschied zwischen Braunschweig und Garching auf die große Entfernung hinweg gemessen werden – natürlich ebenfalls über die Glasfaserstrecke und mithilfe eines Uhrenvergleichs.
es/ptb

Ansprechpartner
Stefan Droste
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Hans-Kopfermann-Straße 1
85748 Garching bei München
Telefon: (089) 32905-266
E-Mail: stefan.droste@mpq.mpg.de

Dr. Gesine Grosche
PTB-Arbeitsgruppe 4.34 Frequenzübertragung mit Glasfasern
Telefon: (0531) 592-4340
E-Mail: gesine.grosche@ptb.de

Die aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichung
S. Droste, F. Ozimek, Th. Udem, K. Predehl, T. W. Hänsch, H. Schnatz, G. Grosche, R. Holzwarth: Optical Frequency Transfer over a single-span 1840-km Fiber Link. Phys. Rev. Lett. 111, 110801 (2013) prl.aps.org/abstract/PRL/v111/i11/e110801